Zwergenschreck im Paradies

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Der Name ist Programm – Kuchlbauers Bierwelt mit dem Kuchlbauerturm ist eine ganz eigene Welt. Das Bierbrauen ist nur eine Seite der kulturvollen Brauerei. Die Kunst und der Turm, die Geschichten um das Brauhaus, der schön gestaltete Biergarten, der Genuss und das lebendige Kunsthaus sind weitere Teile davon. All das an einem einzigen Tag zu erleben, füllt die Sinne aus und macht satt.
Ich bin von früh morgens an in Abensberg unterwegs, schleiche schon vor der Öffnungszeit um das Gelände mit dem Biergarten herum, bewundere die liebevoll gestaltete Mauer mit den Einfassungen, den rohen Ziegeln, den einfachen Schmuckelementen.

Als es endlich losgeht mit der Führung, habe ich schon die ersten Bilder vom Turm gemacht – das Morgenlicht hat so wunderbar geschienen, das Gold der Kugel leuchtete weithin. Ich tauche nun, begleitet von Hans Meyer, dem kundigen Brauereiführer, ein in das Leben der Kuchlbauer-Welt. Lerne etwas von Malz und von Hefe, verstehe, was untergäriges und was obergäriges Bier ist.
Auf dem Rundgang begleitet uns die Braukunstspur, ein ornamentales keramikverziertes Band, das als vielseitiger Schmuck dynamisch durch die Anlage geleitet. Wie ich später nachlese, haben die Erbauer des Kuchlbauer-Turms hier schon vor Baubeginn geübt, wie im Sinne Hundertwassers mit den Materialien umgegangen werden kann.

Der Inhaber der Brauerei, Leonhard Salleck, berichtet in seinem reich bebilderten Buch „Der Kuchlbauer und sein Turm“ auf interessante und lebendige Weise von der Entstehung des Turms, von seinen Träumen, seinen Kämpfen für das Gelingen eines Traums, von seiner Liebe zur Kunst und Philosophie, von seinem Wunsch, den Menschen Schönheit und Genuß nahe zu bringen. Er erzählt respektvoll und voller Dankbarkeit von den Handwerkern der Region, die engagiert und kreativ  zu Werke gingen. Dass der Turm überhaupt gebaut werden konnte, ist eines der vielen kleinen Wunder, die geschehen mussten. Er war zunächst mit 70 Meter Höhe geplant, das wurde von der Denkmalbehörde  jedoch strikt abgelehnt. In Bayern darf kein Gebäude höher sein als der Kirchturm.  Erst nach langen Kämpfen und einer Reduzierung des Höhe auf 50 und schließlich auf 35 Meter konnte das Bauwerk entstehen. Dazwischen arbeitete Salleck sich durch den Behördendschungel, argumentierte, phantasierte, bezahlte Gutachten und arbeitete mit dem Architekten Peter Pelikan neue Pläne aus. Bewunderung und Respekt –  das sind die Worte, die mir einfallen, wenn ich die Geschichte des Leonhard Salleck und des Kuchlbauer-Turms lese. Es gibt nicht oft Menschen, die so beharrlich an einen Traum glauben, noch dazu, wenn dieser Geld kostet und der Allgemeinheit dient. Sicher haben auch betriebswirtschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt, dazu steht Salleck. Um seine Brauerei bekannter zu machen, setzte er nicht auf mehr Werbung, sondern auf besondere Erlebnisse und schöne Gestaltung, die den Ort zu einem Touristenmagnet machen. Das Konzept ging auf.   

Und Hundertwasser? Der hatte die Zusammenarbeit zunächst abgelehnt. Im Jahre 1999, als ihn die Bitte des Brauers aus Bayern erreichte, fühlte er sich einem solchen Projekt nicht  gewachsen. Sallek ließ nicht locker. Er konnte sich niemanden anders für den Turmentwurf vorstellen als den österreichischen Künstler. Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass die Geschichte der Brauereizwerge für Hundertwasser der Anstoß waren, dem Projekt letztendlich eine Zusage zu erteilen.


Ich hatte vieles erwartet, aber keine Gartenzwerge. Bei der Führung durch die Brauerei hielt ich sie noch für touristenerfreuendes Beiwerk. Doch schnell wurde klar, dass diese Zwerge, die die guten Eigenheiten der Braukunst symbolisieren, mit aller Ernsthaftigkeit zum Projekt gehören. Hundertwasser wurde geoutet als Liebhaber von Gartenzwergen. Er hat wohl Geister- und Fabelwesen wie Zwerge und Gnome gemocht, als Verbindungsfiguren zur Natur, als Symbol für das Recht auf Träume. Ob er wirklich den deutschen Gartenzwerg verehrte, wage ich zu bezweifeln. Hier verschieben sich die Dimensionen vom Feen- und Geisterglauben hin zum Braureizwerg mit Mütze und Bart. Der Meister selbst kann sich nicht mehr wehren.
Die singenden und klingenden Gartenzwerge sind mir in der Kuchlbauer-Welt ein ganzes Stück zu dicht am Kitsch. Wie sie zusammen mit dem Engelchen in einer spiegelverglasten Grotte auf Knopfdruck singen und erzählen, erinnert mich eher an Kindertheater als an Hundertwasser, auch wenn eine Grafik von ihm an der Wand hängt und alles dem Meister huldigt. Das ist für meinen Geschmack zu dich aufgetragen. Hundertwasser liebe ich für seine Klarheit, seine Reduktion ohne Verzicht auf Farbe und Schönheit.

Nach den Zwergen bleibt ein seltsames Gefühl der Fremdheit, als ich den Turm beginne zu besteigen. Aber er lockt, er leuchtet, er fasst sich gut an. Ich streichle die Säulen, meine Hände tasten über rauhen Putz, über Klinkersteine und Keramik. 

Ich lasse mir Zeit dabei, diesen Weg nach oben möchte ich ohne Gruppe und Erklärungen gehen. So kann ich alle Details bewundern, genießen, erschließen. Ich werde von der mit jeder Etage reicheren Aussicht belohnt und kämpfe ganz still mit meiner immer wieder auftretenden Höhenangst. Auf der freien Außentreppe an der Kugel zwinge ich mich, nur noch oben zu schauen und sage mir, ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich nicht oben angekommen wäre. 










Wissend, dies ist ein ganz besonderer Ort, den ich vielleicht nur diese eine Mal besuche, bleibe ich lange in der Kugel sitzen. Ein Film über bayrisches Bier läuft in Dauerschleife. Der Brauherr selbst lädt ein zu Bier und Genuss. Ein sympathischer Mann, stille, kluge Augen. Ein Mann mit Prinzipien. Später lese ich, dass er mit dem Erlös der Brauerei auch ein Waisenhaus in Sri Lanka finanziert. Er beschreibt, wie schon seine Großeltern immer Bier, Brot und Suppe für Bedürftige übrig hatten.  
Unten angekommen, sehe ich mir noch die kleinen Iglubauten, die Kinderwelt und die Schatzkammer, an. In der Schatzkammer wurde der Ausspruch Hundertwassers „Farbe ist Reichtum“ umgesetzt als Schatztruhe voller Farben. Vielleicht ist es das, denke ich, was mich misstrauisch macht, mir den Genuss schmälert: Dass alles ausgesprochen, alles bildlich umgesetzt wird, nichts in der Schwebe bleibt, mir kein Spielraum gelassen wird für eigene Erkenntnisse, mir die Welt genau erklärt wird, die Welt des Kuchlbauers und ein bisschen die Welt des Hundertwasser. Vielleicht ist mir das alles deshalb ein wenig zu viel, fühle ich mich lange Zeit nicht imstande, das Gesehene zu reflektieren.

Und doch gäbe es noch viel zu erzählen: von den Steinen aus Österreich, der Idee von Knospe, Stengel und Kugel, die den Turm trägt, von den farbigen Flaschenböden, von den vermauerten Bierkrügen, der Weißbierglassammlung, von den wundervoll schimmernden Bleiglasfenstern, der Aussicht auf die Stadt, vom Glockenklang der Kirche, von Taubenkobel und Biergartenteich, von den Wundern und Geheimnissen des Turmbaus. Aber auch von dem engagierten Architekten Peter Pelikan, der seit der Entstehung des Hauses in der Kegelgasse in Wien mit Hundertwasser  zusammenarbeitete und das Projekt in Abensberg nach dessen Tod zu Ende brachte. Aber das ist auch alles nachzulesen auf der Internetseite der Kuchlbauer oder in den Büchern des Leonhard Salleck. Ich bin erst einmal in das Erdhügelhaus gegangen, habe gegessen und getrunken und dabei die gemauerten Rundbögen bewundert, die ich in dieser Schönheit bisher nur in alten Rathäusern zu sehen bekam.


Am Nachmittag besuche ich das Kunsthaus, das ebenso zum Ensemble gehört, aber für sich steht und auch ohne Führung zu besichtigen ist. Ich bin einer von wenigen Besuchern, was es mir erleichtert, die Sammlung grafischer Werke und Bilder des Künstlers zu genießen. Zwischendurch sitze ich einfach nur auf einer der riesigen gepolsterten Bänke und genieße die Bilder um mich, tauche ein in Farbe und Gefühl. Ich habe Zeit, jedes Bild genau anzusehen, seine Melodie zu spüren, in ihm spazieren zu gehen. Das ist es, was die Bilder von Hundertwasser so reizvoll macht und mich vor jedem von ihnen lange stehen und schauen lässt. Die Augen können spazieren gehen. Ich nehme das Bild erst als Ganzes wahr, dann taste ich mit den Augen die kleineren Bereiche ab, sehe mich an den Farben satt, krieche in jede Ecke und entdecke auf dem Weg über das Bild hinweg immer neue Einzelheiten, die eine Geschichte erzählen oder Bild im Bild sind, immer neue Bezüge und Verwicklungen erkennen lassen. Neben den Bildern gibt es einige  Zeitdokumente, so höre ich eine Rede Hundertwassers gegen die Atomkraft, erlebe ihn in einer Spielshow, in der er seine Ideen zum ökologischen Bauen erläutert und belächelt wird. Ich erhalte wertvolle Einblicke in seine Philosophie, seine Lebens- und Arbeitsweise. Zahlreiche Modelle und Fotos ergänzen die Sammlung und auch Peter Pelikan erhält hier die ihm gebührende Würdigung. Der Zwergen-Schreck ist vergangen. 

Ganz im Einklang mit diesem Haus, dessen schiefer Turm ein reizvoller Gegensatz zum braven Kirchturm der Stadt ist, fahre ich zurück in mein Hotel. Dort unterhalte ich mich mit der Rezeptionistin. Wie alle Einheimischen, denen ich begegnet bin, ist sie stolz auf die Kuchlbauer Bierwelt und freut sich über mein reges Interesse an Hundertwasser. Sie erzählt vom Weihnachtsmarkt im Kuchlbauer-Turm und meint, das muss man unbedingt erlebt haben. Die Wirkung von Hundertwassers Kunst auf die Stadt ist überall zu spüren. Häuser wurden verziert mit passenden Stilelementen, auf Dächern und Balkonen sehe ich Bepflanzungen und Bäume. Man ist stolz auf das Besondere und freut sich über die Touristen. In Leonhard  Sallecks Buch kann ich nachlesen, dass die Bevölkerung dem Unternehmen von Anfang an sehr offen gegenüber stand. Nach dem „Prinzip leben und leben lassen“ hatten die bayrischen Bewohner keinen Zweifel daran, dass eine solche Idee ihrer Stadt und der bayrischen Biertradition gut tun würde. Diese Meinung vertraten unterschiedliche Behörden und der Bürgermeister nicht. Für ihn stand irgendwann die Wiederwahl an – die konnte er nur gewinnen, wenn er die Meinung der Bürger vertrat und die eigene änderte. Die Behörden überzeugte Leonhard Salleck mit Beharrlichkeit und bayrischer Sturheit. Das ist der Stadt und ihm letztlich gut bekommen.




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