Wandern durch ein Kunstwerk

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Zu Beginn war es eine Idee. Kinder wurden gebeten, aufzumalen, wo und wie sie gerne wohnen würden. Bei Kindern ist alles möglich, erzählt Heike Bodemann-Schenk, die die Gäste liebevoll und unterhaltsam mit dem Haus bekannt macht. Es ist, als wäre sie von Anfang an dabei gewesen, hätte dem Künstler über die Schulter geschaut. Sie spricht von "Wir", wenn sie die Erbauer und Freunde des Hauses meint.  Kinder, so sagt sie, können sich auch vorstellen, in einem Backenzahn zu wohnen. Aber es gab eine Kinderzeichnung, die wurde zum Urprung der grünen Zitadelle: Ein bunter überdimensionaler Stiefel. Er führte zu Hundertwassers Ideen  und schließlich zu einem ganz besonderen Gebäude.


Hundertwasser glaubte an sein Projekt, an ein grünes Haus mitten in der Stadt. Hier verwirklichte er zum Ende seines Lebens seine künstlerischen und ökologischen Ideen, flossen die Erfahrungen vergangener Projekte ineinander, lebte er seine Detailtreue aus. Immer wieder schickte er Faxe und Karten an die Erbauer, korrigierte, mahnte, ermunterte. Schließlich entwarf er noch einen typischen Hundertwasser-Zebrastreifen, der den Weg vom und zum Bankgebäude sicherer machen sollte. Natürlich hatte der keine gerade Linie und weil Hundertwasser sich an der Natur orientierte, schickte er gleich noch ein Bild von einem Zebra mit, das hat nämlich auch keine geraden Streifen.
Der Zebrastreifen fiel den Bauvorschriften für Verkehr zum Opfer. Aber das Gebäude lebt und atmet, ist ein Teil dieser Stadt, es wächst und blüht. Ein ganz und gar friedlicher Ort. Kommt man durch das Tor zwischen den bunten Säulen hindurch (Säulen  gibt es hier 150 Stück und jede ist einzigartig)  in den Innenhof, ist die Welt eine andere. Weit entfernt scheint plötzlich der Straßenlärm, das Rattern der Straßenbahn, das Flirren der Giebel heller Häuser an der Straße. Die Uhren scheinen langsamer zu gehen, während der Springbrunnen die Geräusche verschluckt. Sein Rauschen und der fröhliche Kinderlärm aus dem Garten in der oberen Etage werden zum Klang der Zitadelle.



Wer hier wohnt, ist in einem Kunstwerk zu Hause. Und doch hat noch niemand von seinem Fensterrecht, das Hundertwasser immer gefordert hat, Gebrauch gemacht. Heike Bodemann-Schenk sagt, kommen Sie in ein paar Jahren wieder, dann hat sich die Fassade vielleicht verändert.

Was ist das Fensterrecht?
Es besagt, dass jeder Mensch, der ein Haus bewohnt, das Recht hat, das Mauerwerk um das Fenster zu bemalen und zu gestalten, so weit sein Arm reicht. Daran soll man erkennen, dass hier ein Mensch wohnt. Es ist Ausdruck der Kreativität des Menschen. Und außerdem kann er dann am Abend, wenn er müde von der Arbeit nach Hause kommt, sein Fenster von weitem erkennen.

Im Treppenhaus ist es weniger bunt. Das Auge des Bewohners muss sich erholen. Das schmiedeeiserne Geländer mit den Verzierungen sieht aus wie aus einem sehr alten Haus. Die Stufen sind so gebaut, dass sie abgetreten und gebraucht aussehen. So entsteht der Eindruck, das Haus wurde schon lange bewohnt. Das schafft Vertrautheit. Wo möglich, wurden die Ecken gerundet, mit kleinen Fliesenteilen Kanten nach oben gewölbt, so auch im Art-Hotel.


Die Handwerker hatten es nicht leicht mit diesem Bau. Runde Ecken? Rosafarbene Fassade, ungleichmäßig aufgebrachte Farbe? Säulen, deren Gestaltung bis auf die großen Schalen den Handwerkern selbst vorbehalten sein sollte?
Hundertwasser hatte, wie bei anderen Projekten auch, festgelegt, dass einheimische Firmen mit dem Bau beauftragt werden sollten. Er forderte die Kreativität der Handwerker. Das Gelernte, das Gerade, das Maß des Bauarbeiters waren plötzlich nicht mehr gültig. Eigene Ideen, kreative Lösungen waren gefragt. Das war für die Bauleute nicht einfach. Doch sie lernten, die Ideen des Künstlers anzunehmen und selbst gestaltend tätig zu sein, immer neue Ideen zu verwirklichen. In der Tiefgarage, wo sie an der Gestaltung der Parkplatzbeschriftungen mit Mosaiken beteiligt waren, haben die Handwerker dann eine Wand mit Unterschriften hinzugefügt. Zum Zeichen, dass das "ihr" Haus ist. Leider wurden die Tafeln nicht versiegelt und so haben sich inzwischen auch andere Schriftzüge eingefunden.



Die Grüne Zitadelle zu bauen, war weniger teuer als man denken mag. Hundertwasser bemühte sich bei seinen Projekten immer um Nachhaltigkeit. Sein Grundsatz, dass nicht in die Zukunft gehen kann, wer die Vergangenheit missachtet, kam in der Wahl vieler Materialien zum Ausdruck: So gleicht z. B. kein Fenstergriff dem anderen, sie wurden von alten Häusern wiederverwendet, ebenso Ziegel oder auch Fliesen, die sich aus alten Gebäuden in das neue Haus fügen.
So hat die grüne Zitadelle von Anfang an eine Geschichte.
Und sie fügt sich an diesem Ort in die Geschichte der Stadt ein. Hundertwasser konzipierte das Gebäude als Zitadelle, eine Hommage an die Geschichte Magdeburgs. Er bestand darauf, dass sein Bauwerk genau hier entstehen sollte: zwischen gotischem Dom, den Ausgrabungen karolingischer Befestigungen, von denen eine Springbrunnenanlage auf dem Domplatz erzählt, zwischen romanischem Kloster, sanierten Neubauten der Nachkriegszeit  und neuzeitlichem Bankgebäude. Genau hier gehört es hin, allen Widerständen zum Trotz.

Ich wohnte im Art-Hotel, direkt in der Grünen Zitadelle. Hinter einen grünen Tür fand ich ein einfach eingerichtetes Zimmer, das dennoch komfortabel war. Es hat mir an nichts gefehlt. Ich habe lange nicht mehr so gut geschlafen. Am Morgen bin ich hinaus auf die Terrasse gegangen und habe die Sonne zwischen Bäumen tanzen sehen. Der Wein rankt an den Mauern hoch, die Kinder spielen im Hof, der Springbrunnen rauscht. Leben. Danke, Friedensreich. Und Danke, Magdeburg, dass Du diesen Ort möglich gemacht hast.





3 Kommentare:

  1. Ich wünsche Dir ganz viel Bemerkenswertes unterwegs - und freue mich auf das Mitlesen dürfen ;-), Big umärmelung, Patti

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    1. Ich schick die Umärmelung gern zurück, liebe Patti. Schön, dass Du mit dabei bist.

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  2. Hallo frau Klemmt,

    Scöne Grüße aus Kamen (Bei Hamm/Dortmund) Wir haben uns ja gestern Nachmitag im IC Kennengelernt toller blog, hab aber noch nicht viel gelesen. Beste grüße Oliver und Christa Kunstmann

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