Vision und Beharrlichkeit - Ein Uelzener Märchen

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Es war einmal ein Bahnhof. Man hatte ihn einst im Jahre 1887, im Wilhelminischen Zeitalter, in Uelzen gebaut. Zu dieser Zeit fuhren viele Züge von Berlin nach Bremerhaven, von wo die Auswanderer nach Amerika aufbrachen. Es gab viele Menschen, das Land auf dem Seeweg verließen. Sie suchten in Amerika ihr Glück. Viele Jahre später kam ein großer Krieg über das Land. Als er endlich zu Ende war, legte man beim Aufräumen und Sortieren des zerstörten Landes eine Grenze fest, die es fortan teilte. Diese Grenze teilte auch die Bahnlinie, die nun nicht mehr die Amerika-Route genannt wurde. Es gab neue Möglichkeiten, das Land zu verlassen, wenn man dies wollte. Jedenfalls war das auf der Seite so, auf der der Bahnhof Uelzen lag.
So schlief der Bahnhof schließlich ein. Der Uelzener Bahnhof wurde darüber alt und hässlich Dass er unter Denkmalschutz gestellt wurde, half ihm nicht, jung zu bleiben. Mit Um- und Anbauten verschandelten die Menschen sein Antlitz zusätzlich. Reisende blieben nicht gern hier und waren froh, wenn sie nicht länger als nötig an diesem Ort bleiben mussten, von dem eine Journalistin schrieb, niemand würde dort aus Absicht hinfahren, weil der Tunnel vielleicht direkt in den Orkus führe. Das machte den Bahnhof sehr traurig. Besonders wenn es regnete, sah er trostlos und verwittert aus.

Da kam ein grüner Ritter, der jeden Tag durch den alten Bahnhof laufen musste, um von seiner Burg in die große Stadt zu gelangen. Dem jungen Ritter war viel daran gelegen, die Natur zu erhalten. Schießlich war er grüner Ritter. Er fuhr gerne mit dem Zug und kannte den alten Bahnhof von Uelzen. Der tat ihm leid, doch sah der grüne Ritter auch die versteckte Schönheit des Bahnhofs. Mehr noch, er konnte sich vorstellen, wie der Bahnhof einstmals, als er noch ein Tor in die weite Welt war, ausgesehen hatte. Der grüne Ritter beschloss, dem Bahnhof zu helfen. Noch hatte er keine Idee, wie das gehen könnte.

Der grüne Ritter überlegte lange, was er tun könnte. Da fiel ihm ein Wort seiner Mutter ein: „Gemeinsam ist man stärker“. Daran dachte der grüne Ritter und fand einen roten Ritter, der den alten Bahnhof auch sehr häßlich fand und ihm helfen wollte. Gemeinsam gingen sie zu einem schwarzen Ritter und baten ihn um Hilfe, denn die schwarzen Ritter hatten in der Stadt besonders viel Macht. Dem schwarzen Ritter gefiel die Idee, den kleinen Bahnhof zu retten. Gemeinsam überlegten sie viele Tage und Nächte, was zu tun wäre. Sie berieten sich mit anderen Rittern in der Stadt und wurden von vielen verlacht. Keiner traute ihnen zu, den alten häßlichen Bahnhof zu retten.
Schließlich beschlossen die drei Ritter, den reichen Kaufmann Expo zu fragen. Expo schickte sich zu der Zeit an, wieder einmal seinen Reichtum auf einer Messe zu präsentieren. Da Expo gern im ganzen Land bekannt und beliebt sein wollte, gab er kleinen Händlern und Städten Geld, um bei ihm mitzumachen. Die drei Ritter schrieben einen langen Brief an Expo und erklärten, warum ihr Bahnhof wieder schön werden sollte. Expo aber lachte sie aus und lehnte ab. 


Die drei Ritter gaben dennoch nicht auf. Sie fragten viele Leute und sammelten Ideen, wie dem Bahnhof zu helfen wäre. Da fiel ihnen der Zauberer Hundertschön ein. Er konnte Häuser so verzaubern, dass sie neu und wundervoll wurden und dabei doch alt bleiben durften. Manchmal nachts träumten die drei Ritter nun von einem verzauberten Bahnhof und sahen sich dann Bilder des Zauberers Hundertschön an. Sie überzeugten einige Leute in der Stadt, ihn um Hilfe zu bitten. Es zeigte sich, dass der Bürgermeister den Zauberer Hundertschön sehr verehrte. So schickten die drei Ritter gemeinsam mit dem Bürgermeister eine Brieftaube los, denn der Zauberer wohnte in einem fernen Lande. 


Die Brieftaube war 3 Wochen und drei Tage unterwegs. Der Zauberer Hundertschön las den Brief der Ritter und des Bürgermeisters. Dann dachte er lange nach. Ihm tat der kleine häßliche Bahnhof leid. Auf den Bildern, die die Taube mitgebracht hatte, sah er die Anmut des alten Bahnhofs, denn er hatte eine besondere Gabe, die verborgene Schönheit sichtbar machte. Hundertschön schrieb einen Brief an die drei Ritter und den Bürgermeister. Darin erklärte er ihnen, dass er sich gerne um den alten Bahnhof kümmern möchte, ihm jedoch die weite Reise zu beschwerlich war. 


Wieder war die Taube drei Wochen und drei Tagelang  unterwegs. Inzwischen hatten die drei Ritter gemeinsam mit dem Bürgermeistern und ein paar Helfern einen neuen Brief an den Kaufmann Expo geschickt, denn sie fürchteten, dass auch die Hilfe des Zauberers Hundertschön nicht ausreichte, um den alten Bahnhof zu retten. Dass der Zauberer bei der Verschönerung des Bahnhof helfen würde, schrieben sie dem Kaufmann Expo auch. Außerdem hatten sie sich vorgenommen, mit dem Bahnhof grüne Energie zu gewinnen, indem sie Sonnenfängerplatten auf die Dächer montierten.  

Wie sehnten die drei Ritter und der Bürgermeister die Brieftaube herbei! Wie hofften sie auf eine freundliche Antwort des Zauberers! Wie wurden sie von vielen Bürgern der Stadt ausgelacht und beschimpft! Doch sie gaben nicht auf. Jede Nacht träumten sie vom verzauberten Bahnhof. Die drei Ritter gründeten einen Verein, in dem nur mitmachen durfte, wer dem kleinen Bahnhof wirklich helfen wollte. Dem Kaufmann Expo gefiel die neue Idee vom verzauberten Bahnhof. Er versprach, den Rittern Geld für die Bauarbeiten zu geben, wenn sie allen Besuchern sagten, was er für den kleinen Bahnhof getan hatte. Die drei Ritter, der Bürgermeister und alle Helfer versprachen es.
Schließlich kam aus dem fernen Land endlich eine Brieftaube zurück. Der Zauberer Hundertschön schickte viele Ideen und Zeichnungen. Auch genaue Anweisungen waren dabei, die helfen sollten, seinen Zauber aus der Ferne wirken zu lassen. Heimlich hatte Hundertschön schon an einem ganz kleinen Bahnhof zu Probe gezaubert. Den schickte er per Schiff nach Uelzen und so konnten sich die Leute aus der Stadt alles anschauen. Viele waren erleichtert, als sie sahen, dass der alte Bahnhof trotz der Zauberei immer noch aussah wie ihr Uelzener Bahnhof. Hundertschön meinte dazu: „Wer die Vergangenheit nicht ehrt, verliert die Zukunft. Wer seine Wurzeln vernichtet, kann nicht wachsen.“ Deshalb wollte er den alten Bahnhof alt sein und trotzdem schön werden lassen.

Die Handwerker des Ortes machten sich nun daran, dem Zauberer bei der Arbeit zu helfen. Doch sie konnten viele Werkzeuge nicht benutzen. Kaum hatten sie den Bahnhof betreten, waren Elle und Lot, Metermaß und Lineal verschwunden. Darüber ärgerten sie sich sehr. Der Zauberer versprach ihnen, dass der alte Bahnhof auch ohne gerade Linien besonders schön werden konnte. Er fand sogar, die gerade Linie sei gottlos. Das verwunderte die Handwerker sehr. Doch sie durften als Belohnung für ihre Geduld am Ende der Arbeit ihr Werkzeug ins Treppengeländer stecken, wo es mit einem kleinen Zauber festwuchs und für immer an die Handwerker erinnert.
Die Bauarbeiter bauten Verzierungen und Säulen, so wie es ihnen Spaß machte, unter der Bedingung, dass sie den Zauberer Hundertschön nicht störten. Und so entstanden viele bunte Säulen, Wände mit tanzenden Fenstern, Fenster mit Zungenbärten und sogar ein kleiner Dornröschenturm mitten im Bahnhof. Die Wege um den Bahnhof herum pflasterten die Handwerker mit über 30 Sorten Pflastersteinen. Dabei wurden sie recht übermütig und legten Figuren und Muster, sogar ein Glücksschwein wurde auf den Gehweg gepflastert. Der Zauberer Hundertschön lächelte darüber. Er verwandelte indessen die Dächer des alten Bahnhofs in blühende Wiesen, ließ Bäume auf den Bahnsteigen wachsen und einen Springbrunnen durch den Tunnel fließen. Zum Schluss setzte er goldene Kugeln auf die Ecken des Bahnhofsgebäudes und meinte: „Reiche und Mächtige hatten immer schonTürme. Ein goldener Zwiebelturm am eigenen Haus erhebt den Bewohner in den Status eines Königs.“
Als er diese Worte hörte, wurde der kleine Bahnhof, der nun ein schöner Bahnhof war, sehr stolz. Er schüttelte den Baustaub aus den Fugen, rückte seine Schienen zurecht und wartete auf den Tag seiner Neugeburt. Vorher kamen noch viele Besucher und schauten sich an, wie der kleine Bahnhof immer mehr verzaubert wurde. Niemand lachte mehr. Alle sahen, wie schön der Bahnhof wurde und wie trotzdem die alten Mauern und Ziegelsteine glänzten. Über diese Zauberei waren die Gäste besonders erstaunt.
Der Zauberer Hundertschön machte sich im fernen Land auf den Weg, um den kleinen Bahnhof und das Land drumherum zu besuchen. Er fuhr mit dem Schiff über das Meer. Unterwegs malte er einige Bilder und auch eines für den kleinen Bahnhof Uelzen. Als er dieses Bild fertig gemalt hatte, schlief er plötzlich ein und wachte nie wieder auf. Darüber waren die Ritter, der Bürgermeister, die Leute in der Stadt, die Handwerker und auch der Bahnhof sehr traurig. Sie wussten aber, dass sie das Zauberwerk von Hundertschön auch ohne seine Hilfe beenden konnten. Alle gaben sich besondere Mühe und dachten dabei an den Zauberer. Als der kleine Bahnhof in Uelzen neu eröffnet wurde, strahlte er so hell, dass auch die Leute in dem fernen Land, in dem der Zauberer gewohnt hatte, es sehen konnten.

Der Kaufmann Expo gab schließlich gar kein Geld für den Bahnhof, obwohl der grüne, der rote und der schwarze Ritter ihr Versprechen gehalten hatten. Es lachte aber auch niemand mehr über die Idee der drei Ritter. Viele Leute in der Stad fanden den verzauberten Bahnhof nun sehr schön. Wer konnte, hatte etwas Geld dazu gegeben, damit der Bahnhof noch schöner werden konnte. Reisende waren neuerdings sogar traurig, wenn ihr Zug pünktlich kam, denn nun konnten sie weniger Zeit auf dem alten Bahnhof verbringen. 

Es kamen immer mehr Gäste in die Stadt, um den Bahnhof zu sehen und niemand wollte mehr so schnell wie möglich weg von dort. Sie blieben eine Weile, schliefen im Hotel, schauten sich die alte Innenstadt und die Umgebung an. Viele fanden, dass es eigentlich richtig schön war in Uelzen.  Die Leute aus der Stadt und auch die drei Ritter zeigten allen gern ihren neuen alten Bahnhof. Sie gaben dem Platz vor dem Bahnhof den Namen des Zauberers Hundertschön und beschlossen, dass in ihrer Stadt die Zauberer der Farben und der Schönheit für immer ein Zuhause haben sollten. 

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