Nach Selb fuhr ich an einem klaren Sonntagmorgen. Der Regen
hatte in der Nacht aufgehört. Sonntägliche Glockenschläge hallten durch die Straßen.
Nur wenige Menschen sah ich.
In Selb erwartete mich Sonnenschein und Kopfsteinpflaster. Von fern war
mittelalterliche Musik zu hören – ein Festival fand statt, einige Leute mit Leinenkleidern
und geschnürten Stiefeln waren dorthin unterwegs.
Im Cafe nahe der schönen Andreaskirche waren die Stühle noch feucht. Ein Kellner
wischte die Tische ab, ein zweiter lehnte in der offenen Tür, blinzelte in die
Sonne und rauchte. Die wenigen Menschen, die mir begegneten, sagten Grüß Gott.
Ich durchquerte die feierliche kleine Innenstadt.
Den Berg hinauf zum Fabrikgelände führte mein Weg. Dort steht an der Straße ein
mit bunten Regenbogen bemalter großer Fabrikbau. Blinkendes Rot und Grün im
Sonnenlicht. Davor das große Werbebanner von Rosenthal. Ein großer Bogen über die ganze Häuserfront gemalt,
noch ganz jungfräulich. Nein, Hundertwasser war das nicht.
An den bunten Bau schloß sich ein unscheinbaren Gebäude an, von ihm geteilt durch einen Turm. Die vorherrschende Farbe des 70er-Jahre-Baus war grau. Aber die Wesenszüge einer von Hundertwasser bearbeiteten Fassade waren sofort zu erkennen.Ich setzte mich auf eine Bank gegenüber, im Rücken einen Parkplatz mit ungewöhnlich vielen Bäumen.
Die Linien, die die Geradlinigkeit der
strengen Fassade brechen, die Musterungen, die sich auf der Fassade mit Kacheln
abzeichnen, sind gut zu erkennen. Als wären sie dem Haus gewachsen, ein Moos,
eine Pflanze, ein Teppich auf der Außenhaut. Einige der Kacheln fehlen. Das
Wetter hat die Fassade ergrauen lassen. Doch auf dem Dach sind die Bäume groß
geworden, ragen als kleiner Park in den wolkigen Himmel. Die Baumbewohner
wachsen noch immer aus den Fenstern und sind von Weinranken eingefasst, die den
Turm und das Haus teilweise bedecken. Das kleine Pförtnerhaus ist bewachsen von
Bäumen und Sträuchern, wie Lianen im Urwald hängen Weinranken herunter, einige
Blätter sind schon herbstlich gefärbt.




Die Idee ist also lebendig geblieben, die Veränderung hat Bestand und ist selbst
Veränderungen unterworfen Das Haus verwittert, es ist lebendig im Sinne des
Künstlers. Eine diebische Freude sitzt in mir und kichert. Ich denke an Hundertwassers
Verschimmelungsmanifest, an seine Nacktreden, mit denen er brave Bürger
erschreckte. Ich denke an sein Manifest, in dem er die menschliche Architektur fordert,
eine, in der Pflanzen Ecken abrunden und Vergänglichkeit zulässig ist. Genau
das passiert hier gerade und ich darf Zeuge sein. Während ich so sitze und dem
Haus beim Verwittern zuschaue, finde ich es viel schöner als die bunt
angemalten nebenan. Es hat Charakter und es ist grün.
Der gestaltete Parkplatz, von dem in den Büchern die Rede
ist, kann nur der gegenüber mit den vielen Bäumen sein. Er scheint mir auch
ziemlich uneben und hat keine Markierungen. In den 35 Jahren seit der Neugestaltung
hat sich viel verändert. Ein zweiter, größerer Parkplatz ist hinzugekommen. Die
bepflanzten Erdwälle, die ihn umgeben, haben eine welligen Boden und sind an
den Kanten nicht gerade.
Es wird viel Parkfläche gebraucht, denn hier ist nicht nur die Fabrik von
Rosenthal (zu dem inzwischen weitere Betriebe gehören). Hier haben sich weitere
Gewerbe und große Marken niedergelassen. Es gibt ein großes Outletcenter mit Werksverkäufen,
Restaurant und riesigen Parkflächen. Ich kann mir gut vorstellen, wie hier an
Wochentagen der Einkauf tobt. Froh und erleichtert bin ich, weil ich den
Ausflug nach Selb für Sonntag geplant habe. Für einen kurze Frist gehören die
Straße und die Bank und der Parkplatz und das verwitterte Fabrikgebäude mir.
Weil ich noch viel Zeit hatte, wanderte ich zum
Porzellanikon.
Auf dem Weg dorthin begegnete mir ein Haus, das aussah wie von
Hundertwasser gestaltet, aber es war ein Wohnhaus am Rande des Stadtkerns,
nicht weit von der Fabrik und dem Outletcenter entfernt. Ich schaute es mir
genau an. Viele Detail des offenbar umgestalteten Hauses waren stimmig mit
denen, die ich von Hundertwasser-Gebäuden kenne. Ich kann das Rätsel um das
Haus derzeit noch nicht lösen, aber es hat mir einfach gut gefallen und passt
in diesen Blog. Wenn Hundertwassers Ideen Kreise ziehen und andere dazu ermuntern,
in ähnlicher Weise ihre Häuser zu gestalten, kann das nur in seinem Sinne sein.
Ich vermute, dass die Gestaltung des Hauses im Rahmen eines deutsch-tschechischen
Projektes zur Gestaltung von Häuserwänden des "Kunstvereins Hochfranken
Selb e.V.“ entstanden ist, das im Juni 2017 stattfand.

Im Porzellanikon war am Sonntag Tag des offenen Denkmals.
Der Eintritt kostete nur einen Euro und eine Porzellanmalerin zeigte ihre
Arbeit. Im Museum kann man viel über die Geschichte des Porzellans, über
Herstellung und Verarbeitung, aber auch über Porzellan als Kunstgegenstand
erfahren. Die alte Dampfmaschine ist ebenso spannend wie das Entwerfen von
Mustern oder das Aufbringen und Brennen der Farben.
In der Ausstellung über die Geschichte der Rosenthals und
die Geschichte der Firma entdeckte ich auch Hundertwasser wieder. Die Umgestaltung
des Fabrikgebäudes und des Parkplatzes ist erwähnt und mit Fotos dokumentiert.
Ich erfuhr auch, dass Hundertwasser für Rosenthal, der nicht nur hochwertiges
Geschirr, sondern auch Kunstwerke aus dem edlen Material herstellen ließ, eine
Vase gestaltet hat. Sie ist im Porzellanikon ausgestellt. Wundert es, dass sie
aussieht wie ein Hundertwasser-Haus? Steckt man eine Blüte hinein, wächst auf
dem Dach ein Baum.
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