Verrücktes Rathaus und andere Ideen

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Die Plochinger gelten als stur, erfinderisch und sparsam. Diese Eigenschaften kamen besonders beim Entstehen des Hundertwasser-Projektes zum Tragen. Um das zu erfahren, musste ich in die Plochinger Tourismusinformation gehen, um dort eine aus Berlin stammende kundige Mitarbeiterin zu finden, die mir ein kleines Buch über das Regenturmprojekt verkaufte. Wir redeten ein wenig über die Stadt, über Mundarten und Sprache, darüber, dass sich die gebürtige Berlinerin hier in der schwäbischen Kleinstadt sehr wohl fühlt.
Ich habe dann nachgelesen, was es mit dem Plochinger Regenturmprojekt auf sich hat. Um die Entstehungsgeschichte zu verstehen, muss man wissen, dass Plochingen ein Verkehrsknotenpunkt ist, sowohl in Sachen Autoverkehr als auch auf der Schiene. Jahrelang rollte der Autoverkehr mitten durch die Innenstad. Als kleiner, etwa 13000 Einwohner zählender Ort, war und ist Plochingen ein Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Schurwald und der Industriezone Neckartal. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts machten sich Verkehrsplaner und Architekten daran, den Ort vor dem Ersticken zu retten. Sie lenkten den Verkehrsstrom um und schufen ein verkehrsberuhigtes Stadtzentrum. Jedoch stand das alte Rathaus direkt an der nun stark befahrenen Verkehrsader. Die Plochinger waren sich einig: Es musste ins Zentrum der Innenstadt geholt werden. Also bauten sie ihr Rathaus ab und brachten es Balken für Balken an den Marktplatz, dorthin, wo es hingehörte. So wurde der historische Kern der Stadt geschaffen, den man heute als gewachsen und selbstverständlich wahrnimmt.

Aber der Verkehrsstrom nahm weiter zu, auch auf den Umgehungsstraßen. Es mangelte zunehmend an Parkplätzen, Wohnungen und Gewerbeflächen. So gründete man Ende der 80er Jahre eine Arbeitsgemeinschaft, in der Architekten und Stadtplaner Konzepte erarbeiteten, um die Stadt vor dem Kollaps zu retten und für die Menschen wieder lebenswerter zu machen. (Ich kenne Städte, da werden externe Gutachter beauftragt, die zwar keine Neuigkeiten herausbekommen, aber richtig Geld kosten. Die Fachleute vor Ort an einen Tisch zu holen, ist oft einfacher und günstiger.) Die Arbeitsgemeinschaft erarbeitete ein Bebauungskonzept, das den Bereich der heutigen Hundertwasser-Wohnanlage einschloss. 

Umwogt von Straßenverkehr, in der Nähe der Bahnanlagen, sollte ein Refugium entstehen, das den Bewohnern Ruhe und Erholung bot und den Verkehrslärm ausschloss.  Man bereitete den Boden vor und fand einen privaten Investor, der bereit und in der Lage war, das Projekt ohne staatliche Zuschüsse zu finanzieren. Unterschiedliche Positionen der Beteiligten hinsichtlich der Erschließung des Konzeptes waren zu klären und Kompromisse zu finden. Es gelang, weil letztlich alle an das Projekt geglaubt haben und bereit waren, Kompromisse einzugehen. Man wollte etwas Besonderes schaffen, der Stadt ein Gesicht geben, sie lebenswert gestalten. Da kann die Idee auf, Hundertwasser mit der Gestaltung des Innenhofes zu beauftragen. Und weil die Plochinger Partnerstadt Zwettl in Österreich liegt und dort jemand jemanden kannte, der Hundertwasser kannte, und weil der Bürgermeister zusammen mit dem Architekten und dem Bauträger gleich selbst in Wien vorsprach, konnte Hundertwasser das Projekt nur noch annehmen. 

Als er das erste Modell erstellt hatte, gab es ein neues Problem: er bestand auf dem Turm als neuem Wahrzeichen der Stadt. Das bedeutete neue Herausforderungen: neue Statikberechnungen, neue Bauanträge, denn auf dem Gelände war kein Hochhaus geplant. Die Ingenieure und Architekten fanden Lösungen, damit der Turm nicht in den darunter liegenden Supermarkt stürzt. Was die Genehmigung des Turmbaus betraf – auch da hatten die findigen Plochinger eine Lösung: Sie erwirkten eine Ausnahmeregelung als Kunstwerk und schon war der Bau möglich.
Hundertwasser hat während der Bauphase Änderungen in Farben und Formen vorgenommen, er besuchte die Baustelle auch persönlich. Daraufhin wurde das Farbkonzept überdacht, die Dachziegel sollten farblich anders gestaltet, der Schwung der Balkone neu gezogen werden. Die mit Keramikelementen bestückten Schlieren, die das Regenwasser symbolisieren, wurden farblich neu gestaltet. Ein intensiver Austausch zwischen Hundertwasser, dem Architekten M. Springmann und dem Bauträger G. Moll fand während der Bauzeit nahezu ständig statt. Das Gebäude sollte nicht nur ein Kunstwerk sein, sondern auch als Bauwerk funktionieren. Bis zum letzten Moment wurden Korrekturen eingearbeitet, die Hundertwasser aus Neuseeland angemahnt hatte.




Die Stadt Plochingen hat ein Kunstwerk als Bauwerk bekommen, das sie sich gewünscht und erarbeitet hat. Beharrlich und kreativ hat man hier zusammengearbeitet und dabei das Beste aus der Situation gemacht.


Warum erzähle ich das so haarklein? Weil es beispielgebend ist dafür, wie neue Ideen in einer Stadt gemeinsam erarbeitet, zielgerichtet verfolgt und tatkräftig umgesetzt werden können. Weil Plochingen es verdient hat. Weil Plochingen mir liebenswert erscheint. Jetzt noch mehr als vorher. 








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