Das Märchenschloss bleibt verborgen

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Am Morgen Nebel. Als ich zur S-Bahn gehe, ist der Tag noch unentschlossen, was aus ihm werden sollte.  Schließlich öffnet sich der Himmel zu einem strahlenden Blau mit kleinen Wolken.
Nun sitze ich im Kurpark von Bad Soden und atme tief. Wenn Hundertwasser meinte, wir hätten das Paradies auf Erden, dann hat er wohl solche Momente gemeint. Ganz im Frieden mit mir, unter einigen Kastanien, die nach und nach ihre ersten Kugelfrüchte hinwerfen, sitze ich auf einer Parkbank, sehe den wenigen Spaziergängern zu, höre den Wind rauschen und ein paar Vögel krakeelen,  im ersten bunten Laub die kleinen Tiere rascheln. Die Bäume werfen noch lange Schatten, den die Sonne nach und nach aufleckt. 



Beim Gang durch den Kurpark entdecke ich die Kuppel des Hundertwasserhauses. Verborgen hinter hohen Bäumen, die vor ihm und auf ihm wachsen, ist es im Ganzen nicht zu erkennen. Eine Schutz- und Trutzburg, ganz einig mit der Natur. Ein kleiner Bach fließt nebenher. Hier gibt es zahlreiche Quellen.  Zur Bachseite hin ist das Haus offen, stehen Säulen, sehe ich Balkone, führt eine gewundene Treppe nach oben. 


Direkt an den neuen Bau schließt sich das Kurmittelhaus an, auch hier die Balkone mit Säulen, allerdings sind diese schwarz und aus gedrechseltem Holz. Es ist deutlich zu sehen, dass das alte Haus liebevoll integriert worden ist. Es wurde saniert, bildet mit dem Hundertwasserhaus eine Einheit und ist doch ein eigenes Bauwerk. Das neue Haus hat sich an das alte angepasst, die Art der Balkone orientiert sich am Kurmittelhaus und doch ist das Hundertwasserhaus ein Kunstwerk anderer Art. In Schwesternschaft mit dem alten Gebäude entfaltet es seinen farbigen Reichtum, während das alte Haus stolz und schlicht den Respekt und das stille Schauen des Besuchers fordert.





Ich umwandere die beiden Häuser. Zum Park hin dehnt sich das Hundertwasserhaus aus, ist jedoch nur schwer einsehbar. Wie eine Burg steht es da, in farbigem Glanz, sich öffnend nur dem Wissenden, dem, der einen Schlüssel hat. Ich sehe Terrassen, sehe farbige Keramikschlieren, sehe begrünte Dächer und Vorgärten.
Im Park steht eine Litfaßsäule mit einem kleinen Zwiebelturm, auf ihr kann man die Baugeschichte des versteckten Hauses nachlesen. Es ist auch ein Zeitungsartikel veröffentlicht, der vom Besuch Hundertwassers, der hier „Architekturphilosoph“ genannt wird, auf der Baustelle berichtet. Die Lösung technischer Probleme, wie z. B. die Abdichtung der Terrassen oder die Wahrung der Beweglichkeit beider Häuser auf dem feuchten Grund, sind erläutert. Ich lese alles mit Interesse und hoffe, dass es irgendwo in der Stadt das ganze interessante Wissen noch einmal abgedruckt gibt.


Die Vorderseite des Gebäudes beeindruckt vor allem mit wildem Wein, der sich auf der Frontwand ausgebreitet hat. Mit seinem Turm, den goldenen Kuppeln und den nach außen nur mit wenigen Fenstern durchbrochenen Mauern ähnelt das Bauwerk einem mittelalterlichen Schloss, dessen Innenleben der Passant nur erahnen kann. Es ist samstägliche Mittagsstille, die Arztpraxis im Nebenhaus ist  geschlossen, das Parkhaus mit den schönen Rundbögen zur Einfahrt liegt ebenso still. Dass ich fotografiere, scheint niemanden zu stören, aber es ist auch keiner da, den ich fragen könnte, wie es sich im Inneren des Hauses lebt.

Ich wandere weiter durch die kleine Altstadt. Es ist Markttag, ein fröhlicher, sonniger Tag. Frisches Obst, Käse, Wein. Dazwischen unterschiedliche Parteikandidaten, die nächste Woche unbedingt gewählt werden wollen. Zum Mittag esse ich in einem kleinen Eckrestaurant, dort stehen Tische und Korbsessel draußen, so dass ich in die lange vermisste Sonne blinzeln kann.  Am Nebentisch angeregte Gespräche einer Gruppe älterer Leute. Fröhlichkeit und Gelassenheit höre ich heraus, man redet über Fußball und ein Konzert, über Bücher und  die Stadtgeschichte, keiner spricht von Gebrechen und Krankheit. Sie wünschen mir Guten Appetit, ich bedanke mich und später, als ich gehe, verabschieden wir uns freundlich.

In der Buchhandlung am Altstadtmarkt frage ich nach Ansichtskarten. Es gibt einige, aber auf keinem ist das Hundertwasserhaus zu sehen. Ein guter Anlass, um nach Veröffentlichungen zu fragen. Die beiden Verkäuferinnen sind ratlos. Nein, es gibt keine Broschüre zu dem Haus, es gibt nicht einmal Fotos auf einer Ansichtskarte. Es darf mit dem Hundertwasserhaus und mit Bildern von ihm kein Geld verdient werden, so sei es wohl abgemacht. Mehr wisse man nicht. Die Bewohner des Hauses, in dem es nur Eigentumswohnungen gibt, wünschten wohl nicht, dass Bilder in der Öffentlichkeit erscheinen. 

Es sind ganz normale Leute, die dort leben, Ab und an erscheine mal eine Annonce, wenn eine der Wohnungen zum Verkauf stünde. Dann könne man sehen, was so eine besondere Wohnung kostet. Als ich von den schönen Broschüren, die es in Magdeburg und Plochingen gibt, erzähle, sind die Buchhändlerinnen erstaunt und verwundert. Das würden sie sich auch wünschen, das wäre gut für die Stadt. Aber es gehe eben nicht und sie wüssten auch gar nicht, wer das entscheiden darf.  Es fühlt sich an, als wäre da wirklich ein verwunschenes Märchenschloss, von dem niemand genau weiß, welche Bewandtnis es mit ihm hat. Ich komme mir vor wie im Märchen vom Dornröschen - alle wissen, es gibt das Schloss, und alle haben vergessen, welche Geschichte sich damit verbindet.

Über das Haus in Bad Soden ist auch im Internet wenig zu finden. Ich weiß, dass es ein schwieriges Unterfangen war, weil der Baugrund mit Betonpfählen errichtet und das alte Kurmittelhaus einbezogen werden sollte.  

Am Kurmittelhaus erinnern Tafeln daran, dass es einen Rechtsstreit zwischen dem Bauherrn und der Stadt gab, weil diese den Baubeginn verschleppte. Das Haus war zu Beginn in der Stadt nicht erwünscht, es gab wohl viele Bedenken gegen ein so ungewöhnliches Haus und Sorge um ähnlich hohe Besucherströme wie in Wien am Hundertwasserhaus. Doch der Bauherr wollte unbedingt ein Hundertwasserhaus und hat sich durchgesetzt. Nun ist es da, es gehört seit mehr als 20 Jahren zur Stadt, die darüber hinaus noch mit vielen anderen Reizen anzieht. Nicht zuletzt ist es eine ganz besondere Lebensart, die sie liebenswert macht. Ich lasse den Tag auf dem Marktplatz ausklingen, dort wird Wein ausgeschenkt, in richtigen Gläsern. Man sitzt beieinander, mehrere fröhliche Runden haben sich an den einfachen Holztischen versammelt. Keine Betrunkenheit, nur fröhliches Gemeinsamsein. Der Wind weht die ersten braunen Blätter über den Markt. Erntezeit. 

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