Eine ganz normale Schule

, , 2 comments
Als ich am frühen Nachmittag am Hundertwasser-Melanchton-Gymnasium ankomme, ist es sehr still auf dem Schulhof. Nur der Springbrunnen rauscht. Für einen Schulhof eher untypisch. Aber es gehen Leute durch den kleinen Park, der zum Gelände gehört und für alle zugänglich ist. Ein Kind fährt mit dem Fahrrad vorbei. Am Haupteingang zwischen den bunten Säulen begrüsst mich Emily Hoyer, Schülerin der 10. Klasse an dieser Schule. Ich bin heute ihr einziger Gast. Emily ist es eine Freude, Gäste durch ihre Schule zu führen. Als Mitglied im Förderverien der Schule ist es ist ihr wichtig, sagt sie, das Erbe des Künstlers wach zu halten. 

1993 gab es am Wittenberger Gymnasium ein Projekt, das nannte sich „Meine Traumschule“ und war von Kunstlehrern der Schule initiiert worden. Schüler hatten gezeichnet, wie sie sich die Schule der Zukunft vorstellen. Es gab viele ungewöhnliche und neue Ideen, sie reichten vom Zirkuszelt bis zum Swimmingpool. Allen Entwürfen war gemeinsam, dass sie die Schule grün und bunt dachten. Der Schülerrat beschloss, sich an Hundertwasser zu wenden, denn seine Ideen kamen denen der Kinder und Jugendlichen am nächsten. Eine Sanierung der Schule war zu diesem Zeitpunkt dringend notwendig und geplant. Der Umbau erfolgte 1997 – 2000, er hat 9,6 Millionen DM gekostet. Mit einer halben Million D-Mark haben sich Eltern, Lehrer und Schüler über den Förderverein mit Eigenleistungen am Schulumbau beteiligt. Hundertwasser begleitete und förderte das Projekt unentgeltlich.


An den Ecken des Schulbaus gibt es die sogenannten Elefantenfüße, sie verbreitern die Ecken des Gebäudes und runden sie ab, sind ein Symbol der Standfestigkeit. Ihre rote rauhe Mosaikoberfläche ist aus gebrauchten Dachziegeln gestaltet, auch hier ein Element, das zum einen die Wiederverwertung von Materialien und im weiteren Sinne die Aufhebung der Geschichte durch Neugestaltung beinhaltet. Außerdem war es notwendig, preiswert zu bauen, da die zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt waren. Die Dächer alter Häuser geben also der Schule Halt und Stabilität. 




Wir gehen durch den kleinen Park mit 3 Bühnen, bei Schulveranstaltungen oder an Tagen der offenen Tür werden sie genutzt, die Theatergruppe führt hier Stücke auf. Im Rahmen von Projekten haben die Schüler eigene Kunstwerke, zum Beispiel die Libelle als Sitzbank, für ihren Park entworfen. Es gibt an der Schule verschiedene Projekte, jedes Jahr lautet das Thema anders. Der Park ist auf welligem Untergrund angelegt, es gab ihn als einfache Grünfläche schon vor der Schulsanierung. Hundertwasser hat auf die Gestaltung des Parks großen Wert gelegt, die Schüler sollen sich erholen können, die Füße den Boden spüren. Leider gibt es nicht immer genug Aufsicht führende Lehrer, die alle Bereiche des Parks im Blick haben, deshalb ist es den Schülern oft nicht möglich, den ganzen Park in den Pausen zu nutzen.

Der Schulhof und der kleine Park sind für alle Gäste offen, auch Leute aus der Nachbarschaft sind hier oder Touristen, die sich die Schule anschauen wollen. Emily erzählt, dass es manchmal ein wenig nervt, nicht unter sich sein zu können. Die Touristen-Bimmelbahn, die die Leute vor allem jetzt, im „Sommer der Reformation“ durch die Stadt fährt, macht auch an der Hundertwasserschule Halt. Dann wird fotografiert ohne Rücksicht. Es kam sogar vor, dass Fremde in die Schule gingen, sich ungefragt umschauten, die Toiletten benutzten. Inzwischen gibt es ein elektronisches Schließsystem, so dass nur zu den Pausen alle Türen offen sind. Jeder Lehrer hat einen passenden Schlüssel.

Ist der Unterricht an dieser besonderen Schule besonders?
Nein, es ist ein ganz normales Gymnasium mit ganz normalem Unterricht, meint Emily. Sie wirkt nachdenklich. Besonderes kann sie am Schulalltag nicht benennen. Wir gehen in der Pause auf den Hof, erzählt sie, man unterhält sich mit Freunden, läuft herum. Ob es besonders friedlich zugeht, kann sie nicht sagen. Sie mag die Atmosphäre der Hundertwasserschule und geht hier gern zur Schule. Emily meint, es ist schön, Teil einer besonderen Schule zu sein. Sie findet die Atmosphäre an der Schule sehr offen. Neue Ideen, verschiedene Ansichten, Haltungen und Religionen haben hier Raum. Die Anschauung, alles Neue zunächst anzunehmen und ernst zu nehmen, offen zu sein für jeden neuen Gedanken - das ist die Anschauung, die Hundertwasser gelebt hat und die an der einzigen Hundertwasserschule selbstverständlich zum stillen Lehrplan gehört. 

Es ist ein Gymnasium mit vielen Schülern zwischen der 5. und 12. Klasse. Die Ausstattung der Räume ist nicht immer auf dem neusten Stand, dafür fehlen oft die Mittel. Aber im Flur gibt es eine regelmäßig wechselnde Galerie. Es gibt Fotoprojekte, die Schülerfirma Witt-Time, Austauschfahrten nach Springfield in den USA, Studienfahrten, Sportpokale, eine Bibliothek, das Sprachensiegel für Unterricht in 6 Fremdsprachen, die Anerkennung als Europaschule. Im Biologieraum stehen ein Aquarium und ein Terrarium, die ganze Fensterbank grünt und blüht hier. In den unteren Klassenstufen findet ein intensiver Kunst-Unterricht statt, in dem die Schüler mit dem Leben und Werk Hundertwassers vertraut gemacht werden. Sie haben die Möglichkeit, sich mit seinem Werk auseinander zu setzen, selbst künstlerisch tätig zu sein, die Geschichte ihrer Schule zu erfahren und sie besuchen die Grüne Zitadelle in Magdeburg.





Im Flur der Schule findet sich die Wächterfigur einer Künstlerin, die sich in den Gestaltungsprozess der Schule einbringen wollte. Gabriele Messerschmidt schenkte der Schule die auffällige Figur, die nun wie ein Engel über alle Kommenden und Gehenden wacht. Die Künstlerin hat den Sinn und Inhalt der engelsähnlichen Figur nicht genauer beschrieben. Vielmehr legte sie ausdrücklich Wert darauf, dass sich jeder Besucher seine eigenen Gedanken machen solle. 
Wir gehen über Flure mit verschiedenfarbigen Türen, durch Türen, die mit ornamentalen Mustern geschmückt sind - Restprodukte waren das, die verwertet wurden zum Schmuck der Schule, erzählt Emily. 
Eine Aula gab es vor der Schulsanierung nicht.  Auch bei ihrer Gestaltung haben die Schüler mit eigenen Ideen mitgewirkt. Die beiden Säulen der Aula wurden von Hundertwasser persönlich hergestellt und aus Wien nach Wittenberg geschickt. Leider ist die Aula heute belegt und ich kann die Hundertwasser-Säulen nicht ansehen und fotografieren.
Emily steht inzwischen vor dem großen Schulmodell. Sie findet es schade, erzählt sie, dass das Bewußtsein für das Besondere dieser Schule, die Ideen und das Wirken Hundertwassers langsam in Vergessenheit geraten bei den Schülern. Die Generation der Schüler, die an der Umgestaltung mitgewirkt haben, hat die Schule schon lange verlassen. Auch deswegen arbeitet Emily im Förderverein der Schule mit. 
Und sie berichtet von der individuellen Förderung, die jeder Schüler hier genießt. Es wird großer Wert darauf gelegt, dass jeder Schüler studiert, sein Potential gefördert wird. Emily berichtet, dass die Lehrer genau beobachten, welche Stärken ein Schüler hat, dass sie jeden ermutigen, sich auszuprobieren. Sie fördern, fordern, machen Angebote, die Talente und Stärken wachsen lassen.
Diese eher beiläufig erwähnte Förderkultur finde ich beachtlich und besonders wichtig. Auch wenn Emily es vielleicht gar nicht so sieht- das ist auch der Geist des Weltbürgers Hundertwasser, der diese Haltung ermöglicht und befördert. In diesem Sinne ist diese Schule doch eine besondere und sollte es eigentlich nicht sein. Ich wünsche mir, dass jeder Schüler mit so viel Selbstverständlichkeit von individueller und vielseitiger Förderung sprechen kann. 

Schließlich stehen wir im fliegenden Klassenzimmer, einem offenen überdachten Raum im obersten Geschoß. Von hier hat man einen weiten Blick über die Stadt Wittenberg. Es ist sehr zugig. Regulärer Unterricht findet hier aus Sicherheitsgründen und aus Platzgründen nicht statt. Wir schauen auf die drei Kuppeln der Schule: eine ist indianischen Stils in Gold und Blau, eine russisch orientiert, eine ist das kleine Planetarium, das Hundertwasser der Schule zum Geschenk machte.  Das Planetarium wird nur noch zu besonderen Anlässen genutzt, die Technik ist inzwischen veraltet. Im Indianerturm probt die Big-Band der Schule.


Am Ende begegnen wir dem Künstler selbst. Als Figur mit einer Kleidung angetan, die aus seinen Zeichnungen entsprungen scheint. Hände in den Hosentaschen, große Augen, verschmitztes Lächeln. Ein überdimensionaler blauer Hut mit gelben Tupfen ziert ihn. Blau und gelb sind die Schulfarben, so berichtet mir Emily. 




2 Kommentare:

  1. Liebe Rita Klemt,

    ich teilte diesen wunderbaren Bericht auf der internen FB-Seite der freien Waldorfschule FfO. Kommen Sie auch nach Bad Soden im Taunus?
    Schöne Grüße und Gute Reise,
    Matthias Diefenbach und Heimatreise.eu

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Herr Diefenbach, Teilen und Weitersagen sind ausdrücklich erwünscht. Bad Soden liegt auch auf meiner Route. Wenn Sie unter "Reise" gehen, können Sie die geplanten Reiseorte ansehen. Momentan bin ich in Uelzen.

      Löschen