20 Tage Hundertwasser sind vorbei. Ich trete die Heimreise an. Von Düsseldorf aus fliege ich nach Berlin.
Unterwegs bin ich oft gefragt worden, ob ich die anderen Hundertwasserhäuser auch besuche. Das kann ich noch nicht sagen. Jetzt ist diese Reise erst einmal zu Ende. Sie gab mir Zeit, mich mit den Ideen und Prinzipien des Friedensreich Hundertwasser zu beschäftige und mir anzusehen, wie in und mit den besonderen Häusern gelebt wird. Ich habe spannende Erfahrungen  gemacht und viele Menschen kennengelernt. Ich habe am Wegesrand Kunst und Kultur entdeckt, die es lohnt, gesehen zu werden. Ich habe in Zügen und Bahnen Leute  getroffen, mit denen  ich interessante Gespräche führen durfte. Und ich hatte Zeit für mich selbst. Insofern war es auch eine Art Pilgerreise, denn das Nachdenken über mich und die Weltsicht von  Hundertwasser  ist noch lange nicht vorbei.
Und wenn ich ausreichend lange nachgedacht und etwas dazu aufgeschrieben habe, wenn ich alle Bilder gespeichert und die vielen kleinen Episoden meiner Reise erzählt habe, denke ich vielleicht über die nächste Hundertwasserreise nach.



Eine große Reise zu unternehmen, ist schön. Nach  Hause kommen ist anders schön. 


Als das Ronald Mc Donald-Haus in Essen in der Planung war, gab es auch kritische Stimmen. Der Gruga-Park, in dem es entstehen sollte, ist den Essenern wichtig und schutzwürdig, einen Teil davon herzugeben, fast ein Sakrileg. Doch die Idee konnte sich durchsetzen: Eltern von schwer kranken Kindern in einer geschützten Umgebung ein Zuhause auf Zeit geben, damit sie Kraft haben, für ihre Kinder da zu sein und die Familie an der Krise nicht zerbricht. Ein Ort wie der Park, einerseits unmittelbar angrenzend an das spezialisierte Klinikum Essen, andererseits eine Oase der Ruhe und Erholung, schien für das Anliegen wie geschaffen. Hundertwasser sagte sofort zu, als die Projektidee an ihn herangetragen wurde. 
Er besah sich selbst das Grundstück vor Baubeginn und hielt die Lage in der Senke für sehr geeignet. Hier könnte ein Rückzugsort entstehen, ein Haus, das den, der es betritt, umarmt und ihm Geborgenheit gibt. So ist der Entwurf entstanden: Der Turm in der Mitte, die goldene Kuppel der Kopf, die Flügel des Hauses wie Arme, die umfangen. In der Mitte ein Ruheort mit Springbrunnen, Sitzgelegenheiten, Spielplatz.


Die Fertigstellung des Hauses hat Hundertwasser nicht mehr erlebt. Auch dies ist eines seiner vielen letzten Projekte gewesen, die von seinen vertrauten Architekten zu Ende geführt worden sind. H. Springmann hat die Fertigstellung des Hundertwasserhauses „Unterm Sternenzelt“ in Essen begleitet und hält noch heute Kontakt mit den Mitarbeitern vor Ort.
Das Haus, das von der Ronald McDonald-Kinderhilfe-Stiftung betrieben wird, bietet in 17 Appartements mit jeweils 4 Plätzen den Familien schwerkranker Kinder ein Zuhause auf Zeit. In der Regel ist es ausgelastet, zeitweise gibt es sogar Wartelisten. Die anteiligen Kosten von 22,50 Euro pro Tag übernehmen in den meisten Fällen  die Krankenkassen. Damit ist etwa ein Viertel der anfallenden Kosten gedeckt. Der Rest wird durch Spenden finanziert. Jährlich werden etwa 240 000 Euro benötigt, um das Haus kostendeckend zu führen. Gespendet werden auf unterschiedliche Weise: durch Geldspenden, Sachspenden bzw. Dienstleistungen, durch Patenschaften oder mit kreativen Ideen, die dem Haus helfen. Es gibt regelmäßige Spender, ohne die der betreib des Hauses nicht möglich wäre. Die Leiterin des Hauses Sabine Holtkamp bedankt sich stets persönlich bei jedem Spender, denn für sie ist es nicht ausschlaggebend, wie hoch der Betrag ist, sondern dass er von Herzen kommt.  Um so wenig wie möglich Spendengelder für Bürokratie und Personal auszugeben, gilt das Drei-Köpfe-Prinzip: Es gibt drei hauptamtliche Mitarbeiterinnen, die sich um organisatorische, finanzielle und außenwirksame Angelegenheiten kümmern. Alle anderen Arbeiten erledigen die 75 ehrenamtlich Beschäftigten. Ein zweites Prinzip besagt, dass jeder der drei grundsätzlich alles können muss, so dass bei Krankheit oder Urlaub die Unterstützung für die Familien nicht gefährdet ist.



Meist werden die Kinder stationär, in seltenen Fällen auch ambulant, in der Uniklinik Essen behandelt. Die Klinik Essen ist Zentrum für Transplantationschirurgie mit Schwerpunkt Neonatologie sowie für onkologische Erkrankungen. Sie verfügt über eines vor deutschlandweit vier Protonenzentren zur modernen Krebsbehandlung und ist spezialisiert auf die Behandlung von kindlichen Hirntumoren. Frühgeburten, seltene genetische Erkrankungen oder Eingriffe nach schweren Unfällen gehören ebenso zum Spektrum. Eltern können auf eine Intensivstation nicht mit aufgenommen werden. Doch die kranken Kinder brauchen ihre Lieben in dieser Zeit ganz besonders. Ein Zuhause im „Haus unterm Sternenzelt“ ist für die Familien eine wichtige Unterstützung. Während ihres Aufenthalts sind die sie Selbstversorger. Auch die Betreuung der Geschwisterkinder liegt in den eigenen Händen. Es ist wichtig, dass das Prinzip der Selbstorganisation einer Familie erhalten bleibt. Häufig sind auch Alleinerziehende zu Gast im Hundertwasserhaus, die nicht über das herkömmliche Unterstützersystem einer Großfamilie verfügen.




„Unsere Arbeit besteht aus vielen kleinen Puzzleteilen.“ erzählt Sabine Holtkamp. Familien, die hier für eine bestimmte Zeit leben, sind in einer extremen Situation. Sie kämpfen um das Leben und die Gesundheit ihres Kindes. Die Mitarbeiter im Hundertwasserhaus sorgen dafür, dass die Eltern zur Ruhe kommen, sich sicher und geborgen fühlen, dass Mutter und Vater wieder Kraft schöpfen, um für ihre Kinder da sein zu können. Dazu gehört, Zeit zu haben für die kleinen und großen Sorgen von Eltern und Geschwistern, für die es punktuelle Angebote gibt. Es gehört ebenso dazu, das Haus und die Umgebung sauber zu halten, die grünen Dächer und die Pflanzen zu pflegen, Blumen auf den Tisch zu stellen. Und auch, den Alltag der Familien mit so wenig wie möglich Haushaltsroutinen zu belasten. Deshalb stehen beispielsweise mehrere Waschmaschinen im Haus. Denn die Zeit, die man im Waschsalon verbringen müsste, ist zu kostbar. Im Hundertwasserhaus ist Nähe möglich, erleben Familien Verständnis für ihre Situation, lernen sich Eltern und Kinder betroffener Familien kennen. Die Familien befinden sich in so schwierigen und kraftraubenden Situationen, dass die Unterstützung für sie in jeglicher Situation absolute Priorität hat, notfalls müssen andere Arbeiten später erledigt werden. Es gilt für alle, die hier arbeiten, ein Prinzip: Die Familien haben immer Vorrang. Diesen Grundsatz zu verinnerlichen und danach zu handeln, ist Aufgabe jedes Mitarbeiters. Der Kontakt zu den Menschen ist das wichtigste.

Als eine große Selbsthilfegruppe bezeichnet Sabine Holtkamp das Hundertwasserhaus. Es ist Absicht, dass es eine Gemeinschaftsküche gibt. Sie wird zum Ort der Begegnung. Manchmal kochen Familien miteinander oder füreinander, knüpfen Kontakte, kommen ins Gespräch. Ein für alle Bewohner und Mitarbeiter des Hauses zubereitetes Essen kann auch ein Dankeschön sein.  Hier sind Freundschaften über Ländergrenzen hinweg entstanden, die auch später noch Bestand haben. Kinder und Familien aus unterschiedlichen Ländern werden im Hundertwasserhaus betreut.  Das Haus ist häufig sehr multikulturell belegt. Und es gab noch niemals in seiner Geschichte des multinationale Probleme. Denn in dieser Situation verschieben sich alle Prioritäten. Es ist nicht mehr wichtig, welche Sprache jemand spricht oder welche Hautfarbe sein Kind hat.

Überall im Haus gibt es kleine geschützte Sitzecken. Die Einrichtung ist auf Offenheit und Kommunikation ausgerichtet, bietet aber auch ausreichend Rückzugsorte. Jeder kann selbst entscheiden, ob er einen Ruhepunkt braucht oder ein Gesprächsangebot annimmt. „Obwohl wir den Familien die Philosophie Hundertwassers nicht erklären, denn sie haben in der Situation andere Sorgen, erleben wir immer wieder, dass sie unterbewusst wahrgenommen wird.“ Erzählt Sabine Holtkamp. Die Menschen fühlen sich hier geborgen, können wieder zu sich selbst finden, ihre Individualität wahrnehmen, nicht mehr nur funktionieren. Es ist ein Ort, um der Seele Platz zu geben, die Natur ringsumher und sich selbst zu spüren.


Ein Gang durch das Haus ist wie ein Spaziergang durch den Wald. Dunkle Flächen ähneln Pfützen, der Boden ist mit Keramik-Bruch einem Waldboden ähnlich gestaltet, an den Rändern zur Wand wölbt er sich nach oben, symbolisieren bunte Flecken die typischen Laubhaufen. In den oberen Etagen  geht man unter einem blauen Himmel entlang. Bunte Säulen erinnern an Bäume. Hier und da öffnen sich Lichtungen, im Erdgeschoss führen sie zum Kinderspielplatz oder zur Küche, es gibt Sitzecken und Ruheflecken. Die Handwerker haben im Haus nach Hundertwassers Wunsch viel Gestaltungsspielraum gehabt und ihn kreativ genutzt. Auch hier wurden in das eiserne Treppengeländer typische Werkzeuge eingearbeitet. 


Baummieter gibt es hier und Pflanzen wachsen aus Kübeln oder in Töpfen wie auf dem Pflanzenvorhang, der ein Fenster vor Einblicken von draußen schützen kann.



Dezente Möbel stehen im Fernsehzimmer, in der Bibliothek und in den Appartements. Immer wieder offene Türen, tanzende Fenster. Es ist möglich, durch das ganze Haus zu gehen, ohne umzukehren. Kein Gedanke an das sterile Viereck eines Krankenhausflures, das wartende Eltern Stunde um Stunde durchmessen, wenn sie auf gute Nachrichten vom kranken Kind hoffen. 



Die Wendeltreppe im Turm führt bis in die goldene Spitze. Wer dort ankommt, kann sich herausnehmen aus dem Alltag, ist für einen Moment frei und erhoben. Rote Liegesessel laden zum Ausruhen ein. Vom Dachgarten aus kann man das Haus und einen Teil des Gruga-Parks überblicken. 





Hier hat der Gärtner vorsichtig gemäht. Die Idee der Spontanvegetation nehmen die Mitarbeiter des Hauses sehr ernst. Erst wenn die Pflanzen sich wieder ausgesät haben, werden sie im Herbst geschnitten, um den Weg frei zu halten. Eine Vielfalt von unterschiedlichen Pflanzen wächst hier neben Sträuchern und Bäumen.  
Dass das gesamte Haus von der Arbeit der ehrenamtlichen Helfer lebt, ist beachtlich. Sie arbeiten durchschnittlich 3 Stunden an einem einem Tag wöchentlich in den verschiedensten Bereiche, je nach ihren Fähigkeiten und Wünschen. Oftmals ist es gar nicht der direkte Kontakt mit den Familien, sondern das stille und zuverlässige Wirken im Hintergrund, das ihre Arbeit ausmacht. Immer Dienstags bereiten sie ein besonderes Frühstück für die Familien vor. Donnerstags gibt es zur festen zeit ein abendliches 3-Gänge-Menü für die Familien. Sie sollen wieder lernen, gut für sich selbst zu sorgen, das Leben auch in schwierigen Zeiten zu genießen. 


Auf dem Weg durch das Haus treffen wir Sabine Klein, sie ist eine der vielen ehrenamtlichen Helferinnen im Hundertwasserhaus. Vor allem kümmert sie sich um alles, was auf den Etagen grünt und blüht. Sie erzählt, dass früher jeder irgendwie die Pflanzen gegossen hat und das ist ihnen oft nicht gut bekommen. Nun ist sie die Frau mit dem grünen Daumen. Dass ihr Engagement der Hausflora gut tut, ist offensichtlich. Aber Sabine Klein ist auch Hobbykünstlerin.




Sie hat die Hundertwasserfigur aus Pappmache gestaltet, die im Eingangsbereich sitzt. Mit der großen Ballonmütze, der Staffelei und den bunten Socken begrüßt sie jeden Gast und erinnert an das Vermächtnis des Künstlers. Sabine Klein erzählt voller Hingabe von ihrer Arbeit im Hundertwasserhaus. Manchmal bekommt Meister Hundertwasser eine andere Mütze aufgesetzt, die dem Anlass entspricht. Und heute setzt Sabine Klein ihm den bunten Hut auf, der mich auf meiner Reise begleitet hat. Lachend stellen wir beide fest, dass er dem Meister steht.



In Essen angekommen, ist es Zeit für einen Besuch im Gruga Park, zu dem auch das Freibad gehört. Dort hängt ein handgeschriebenes Schild, dass das Bad wegen schlechten Wetters geschlossen bleibt, eine Veranstaltung ausfällt. Auf einem  weiteren Schild im Innenraum des Gebäudes bedankt man sich für die Besuche in der Saison und freut sich auf den kommenden Sommer. Das große Parkhaus gegenüber ist still, auf dem Parkplatz stehen nur wenige Autos an diesem Mittwochvormittag. Als ich Eintritt gezahlt habe, werde ich freundlich auf den Streichelzoo, den Ponyhof und die Gruga-Bahn hingewiesen. 


Nur wenige Gäste sind heute  auf den asphaltierten Wegen unterwegs. Das Gruga- Gelände, ein ehemaliges Gartenschaugelände, ist weitläufig. Es bietet unter anderem versteckte Orte, urwüchsige Areale sowie Gartenlandschaften und ein Bienenhaus, Spielplätze, Tiergehege, eine riesige Voliere, Teiche, Gradierwerk und Sonnenterassen.  Ein Plan für den Park ist auch am Kassenhäuschen zu bekommen. Damit finde ich hier sicher die schönsten Orte.
Eine Schulklasse übt Radfahren nach Regeln im Verkehrsgarten.  Die Spielplätze warten auf Kinder. Am Streichelzoo füttern die Zwerge einer Kita kleine Schafe und wuseln aufgeregt herum. Jugendliche spielen Volleyball.  Die Wolken haben sich gelichtet, der Regen ist vorbei. Still und sanft liegt der Park da, alles scheint frisch gewaschen und ausgebreitet zum Schauen, zum Staunen, zum still werden. 



Ich besuche die große Vogelvoliere, dort haben die Flamingos müde die Hälse zwischen die Federn gesteckt, bis ein Kranich sie aufscheucht. Zwischen Dahlienblüten, die vielfarbig dem Herbst entgegenflammen, stehen Liegestühle auf der Wiese. Ich setzte mich, blinzle in die Sonne, beobachte das ältere Pärchen, da sich auf einer Bank niedergelassen hat, die junge Mutter mit dem Kinderwagen. Die Sonne sucht sich ihren Weg zwischen dünnen Wolkenfahnen und lässt denPark erstrahlen. Weiter gehe ich, entdecke Wasserfälle, Skulpturen, Kunst. Und immer wieder Kinderspielplätze, viele Ideen sind hier verwirklicht, die die Kinder einladen, zu spielen, zu toben, zu experimentieren. 


Eine Schulklasse kommt mir entgegen, sie ist Richtung Ausgang unterwegs. Ein Junge hüpft aus der Reihe, fasst der Adam-Skulptur an den bronzenen Penis. Mehrere Mädchenreihen hinter ihm kichern verstohlen.  An der Pferdeplastik spielen zwei kleine Mädchen, die Mütter rufen lange, bis die Kleinen in ihren Gummistiefeln wieder zum Weg zurück rennen, ungestüm wie die kleinen Pferdchen und mit lachenden Gesichtern. 


Ich steige in die Gruga-Bahn, sie fährt in einer Schleife über das ganze Gelände. Springbrunnen, Wäldchen, Bänke am See, die sich inzwischen gefüllt haben mit Liebespaaren, Rentnern, Hundebesitzern. Aus der Bahn heraus fotografiere ich, erlebe jetzt erst die Fülle dieser grünen Oase von Essen. An einer Haltestelle steht eine Kindergruppe, alle winken und rufen, die Erzieherin läuft gemeinsam mit den Kindern lachend um die Wette mit der kleinen schnaufenden Bahn. 

Schließlich sehe ich das Hundertwasserhaus. Es wächst einfach aus dem Grün heraus, als wäre es ein Teil der Bepflanzung, würde ganz selbstverständlich seine goldene Kuppel der Sonne entgegenstrecken. In einer Senke gelegen wirkt das Haus wie ein Schloss und Versteck zugleich, gibt sich dennoch preis mit seinen leuchtenden  Farben. 





Später wandere ich durch den Rosengarten mit den die letzten duftenden Blüten. Im Kräutergarten riecht es nach Lavendel und Pfefferminz.  Ich besuche die mediterranen Gewächshäuser und den Bonsai-Garten. Ruhe kehrt in mich ein, Gelassenheit.  Nur ganz langsam strebe ich dem Ausgang zu, dem Ende dieses Tages an einem  besonderen Ort. 





Ich bin der goldene Zwiebelturm von Kupferhammer. Jeden Tag schaue ich  über die Häuser von Heddernheim, über den Bach und den Park. Ich sehe den Wolken zu und hören den kleinen Bach in der Nähe rauschen. In der Sonne glänze ich königlich und bin auch im Regen schön. Unter mir die bunten Fassaden und Säulen leuchten, egal ob es Sommer oder Winter ist. Ich bin vergoldet und erhebe das Haus, auf dem ich stehe, in den Stand eines Palastes. Die darin zu Hause sind, werden zu Königen und Königinnen. Die ganz kleinen Herrschaften sind mir die liebsten, für sie bin ich erdacht worden, für sie hat Meister Hundertwasser dieses wunderbare Haus entworfen. Sie sollen sich wohl fühlen, sollen spielen und lachen,  sich entfalten wie bunte Blüten, jede einzigartig und schön.


Früher stand hier ein ganz anderer Turm, der ragte weit in den Himmel und pustete auch Schmutz in die Luft. Es war der Turm der Müllverbrennungsanlage. Zum Glück wurde sie irgendwann abgerissen und man beschloss, hier schönere Häuser zu bauen. Damals gab es auch viel Ärger. Meister  Hundertwasser hatte das Haus der Kinder für diesen Ort erdacht und er war sehr genau, wenn es um seine Pläne ging. Da konnte man nicht einfach billige Betonbausteine verbauen, wo er eine geschwungene Treppe haben wollte, damit die Kinder die Melodie der Füße erspüren. Und dort, wo eine grüne Landschaft mit Bäumen und Sträuchern und Spontanvegetation gedacht war, war einfach nur ein bisschen Rasen gesät worden. Bloß gut, dass ich den Meister nicht erlebt habe in seinem Zorn. Kein Maler möchte, dass ein Fremder sein Bild verändert. Und er wollte nicht, dass die Bauleute seinen Entwurf verändern, denn der war auch ein Kunstwerk. Meister Hundertwasser wollte, dass seine Idee als Ganzes gebaut wird, nicht nur ein Stück davon, wie es den Frankfurtern gerade passte.



Ich bin froh, dass der Meister so hartnäckig war, denn sonst würde es mich gar nicht geben. Ein Turm aus Gold auf einer Kindertagesstätte – das war zu teuer. Aber Meister Hundertwasser wollte unbedingt, dass die Kinder ihren goldenen Turm bekommen, damit man von weit her sehen kann, hier wohnt ein kleines Königsvolk. Weil das Geld zu knapp war, hat der Meister einige seiner Bilder hergeschenkt und sie verkaufen lassen. Dann reichte das Geld, um mich und meinen Bruder zu bauen.


Nun schauen wir ins Land, in die Siedlung, die es schon sehr lange gibt. Heddernheim war vor über hundert Jahren ein eigener Ort. Er wuchs immer mehr zur Stadt Frankfurt hin und schließlich ist er ein Teil von ihr geworden. Die U-Bahn fährt hierher und das Lustige ist, dass sie in Heddernheim über der Erde fährt.



In meiner Nähe gibt es viele neue Reihenhäuser, an einer Straße mit rotem Schrägdach, an der anderen ohne Dach in weiß. Sie sehen sich alle sehr ähnlich. Meister Hundertwasser hat erzählt, dass es viel besser ist, wenn jedes Haus oder jedes Fenster anders aussieht. Die Menschen sollen es immer wiedererkennen und ihr Zuhause selber gestalten. Ich glaube, sie trauen sich das nicht so richtig. Dafür pflanzen sie Blumen und Bäume, bemalen ihren Gartenzaun und stellen bunte Sonnensegel auf. Und die vielen kleinen Schalen mit Pflanzen darin sind schön anzusehen. 


Und die dicke Katze an der Ecke, die ist meine Freundin. Sie begrüßt mich jeden Morgen und erzählt mir, wie das Wetter wird.
Aber die Kinder sind das Beste in der Siedlung. Es gibt viele Kinder hier. Deshalb bin ich mit meinem bunten Haus auch nicht alleine. Gleich gegenüber ist noch eine Kinderreinrichtung, aber die sieht ziemlich langweilig aus.  Und ein paar Straßen weiter, gleich hinter dem Bahndamm, ist noch eine. Es gibt mehr als zehn Einrichtungen für Kinder hier im Stadtteil, und da habe ich die Schulen noch gar nicht mitgerechnet.
Ich liebe es, wenn die Kinder am Morgen zu mir kommen. Die Vorschulkinder fahren schon alleine mit dem Rad oder dem Roller zu  mir und tragen dabei bunte Helme, die sehen ganz lustig aus von hier oben. Die ganz kleinen Kinder werden von den Eltern ins Haus gebracht, da gibt es manchmal Tränen beim Abschied. Aber mein Haus ist so schön und so spannend, dass die Kleinen ihren Kummer ganz schnell vergessen. Wenn sie am Vormittag im großen Sandkasten buddeln und Burgen bauen, schaue ich gern zu. Vor allem wenn dann die Sonne schient und mir den Rücken wärmt. Die Erzieherinnen sagen manchmal, dass sie gern mehr Platz hätten zum Spielen draußen. Schließlich gehen Einhundert Kinder jeden Tag in mein Haus. 



Dass das Haus und wir beiden Türme eigentlich ein Kunstwerk sind, finden die Erzieherinnen manchmal nicht so einfach. Es gibt nicht eine gerade Wand, wie soll man da einen Schreibtisch hinstellen oder eine Pinnwand aufhängen? Da müssen die Frauen ganz schön erfinderisch sein. 

Meister Hundertwasser hat sich bei den einhundertzwanzig Fenstern auch gedacht, dass die Kinder durch die Fenster gehen können. Aber sie sollen auch Regeln lernen, sagen die Erzieherinnen. Und wenn die Schulkinder Hausaufgaben machen, dürfen die anderen nicht durchs Fenster steigen. Ist ja klar. Nun ja, Meister Hundertwasser hatte viele Ideen, die manchmal wunderlich wirken. Vielleicht war er mehr ein Künstler als ein Kinderkenner.

Mittags ist es immer ganz still, dann ruhen sich die Kleinen aus. Aber bald kommen die Schulkinder auf ihren bunten Rollern herangeflitzt von der Grundschule, die sausen durch den Park, über die kleine Brücke und sind ganz schnell bei mir. Die Schulkinder tragen dann bunte Helme, das gefällt mir. Sie haben in der Schule lange stillsitzen müssen. Bei mir rennen und toben sie erst einmal. Mein Haus hat auch eine ganz lange Rutsche, auf der gibt es immer viel Spaß.

Überhaupt finde ich das Haus, auf dem ich stehe, richtig schön. Und auch mein Bruder, der zweite Turm, ist schön. Er ist auch vergoldet, aber das Wetter hat schon ein bisschen von seinem Gold abgefressen und dafür schämt er sich. Deshalb ist er meistens ganz still und lässt lieber mich erzählen. Dabei hat Meister Hundertwasser sogar gesagt, Häuser sollen alt werden und man darf ihnen das ansehen. Er fand sogar, dass Häuser verschimmeln sollen, damit sie nicht mehr so langweilig sind.



Langweilig ist mein Haus gar nicht. Es hat viele lustige bunte Keramikschlieren, die aussehen wie Regenwasser. Es hat bunte Säulen und runde Wände und der Fußboden ist so schön uneben, dass die Kinder immer neue Arten zu laufen erfinden können. Verschimmeln soll mein Haus aber nicht, dann dürften die Kinder nicht mehr herkommen. Und für die sind wir sehr wichtig. Mein Haus und ich, wir sind nämlich nicht einfach nur eine Kita, sondern man nennt uns Kinderzentrum. Bei uns passieren ganz viele schöne Dinge, die für die Kinder und die Eltern gut sind. Demnächst machen die Erzieherinnen auch wieder einen Flohmarkt. Und sie helfen Eltern, damit sie mit ihren Kindern gut leben können. Früher kamen ganz oft Besucher, die uns  ansehen wollten, weil wir doch ein so besonderes Haus sind. Das hat die Kinder oft gestört. Nun gibt es zwei Mal im Jahr einen Besuchertag, da werden alle Türen aufgemacht und alle können schauen, wie schön es im Kinderzentrum ist. An solchen Tagen recke ich mich besonders und versuche, schön zu glänzen.





Als ich am Sonntag in Frankfurt am Main ankam, hatte ich noch viel Zeit bis zum Einchecken im Hotel Ich ließ also  meinen Koffer dort und machte mich auf, um die Stadt ein wenig zu erkunden. Vor der Frankfurter Oper war eine Art großer Ballon aufgeblasen, in dem fanden Konzerte und Theaterproben statt. 




Davor gab es Stände mit Imbiss und Getränken. Auf den Schürzen der freundlichen Wurstbrater und Bierausschenker stand Oper Frankfurt. Es fand das Theaterfest, das die neue Spielzeit eröffnete. Das große Haus war offen für alle. Ich hatte Zeit, ich war neugierig, mein restliches Gepäck konnte ich an der Garderobe abgeben. Also gesellte ich mich zu den vielen interessierten Theater- und Opernbesucher. 





Ich schaute hinter die große Bühne, besah mir die Kostümausstellung, bewunderte im Malersaal Requisiten und Figuren, hörte Musikern beim Spielen und Kindern beim Theatermachen zu. Dabei habe ich nur einen Teil des Angebotes entdecken können. 








Am Nachmittag stand ich mit vielen anderen Musikbegeisterten – und die meisten von ihnen gehörten offenbar zum Opernchor – auf dem Willy-Brand-Platz. Gemeinsam sangen wir die „Ode an die Freude“, es klang herrlich, es war ein wunderbares Gefühl, zu diesem vielstimmigen Chor zu gehören, einfach so.